Interview by Helmar Giebel, 1996

?: Der Titel "Jesus Christ Superstars" ist doch mit Sicherheit keine Hommage an Andrew Lloyd Webbers gleichnamiges Erfolgsmusical aus den 70ern?!

!: Nein, es befaßt sich mit Gott und Religion am Ende unseres Jahrhunderts.

?: Wie definiert Laibach den Begriff Religion?

!: Die Kirche ist in unserer Gesellschaft offensichtlich immer noch sehr relevant. Sie hat als Ideologie alle Katastrophen überstanden und wurde für die eigenen Verbrechen nicht zur Rechenschaft gezogen. Religion ist immer präsent, gerade hier in Köln z. B. in Form des Doms. Eine Touristenattraktion, die der Kirche eine Menge Geld bringt. Über die Kirche wurden Soap-Operas, Hollywood-Streifen und Musicals geschrieben. Der Papst ist der größte Popstar aller Zeiten. Nur er kann drei Tage hintereinander ganze Stadien füllen. Eine Definition für Religion zu finden, ist schwer. Sie ist ein virtueller Staat, der jedoch nach den Spielregeln eines real existierenden Systems funktioniert.

?: Würdest Du mir recht geben, daß Religion zumindest in den westlichen Ländern zunehmend an Einfluß verliert? Es gab z.B. noch nie so viele Austritte aus der Kirchengemeinschaft.

!: Das ist schwer zu sagen. New Age, als Alternative zur Kirche, ist gerade in Europa eine wichtige Bewegung. Die katholische Kirche verfolgt diese Entwicklung sehr nervös. Nun, da es auf das Ende des Jahrhunderts zugeht, drohen ihr die Dinge aus der Hand zu gleiten. Einen verminderten Einfluß der Kirche sehe ich aber nicht. Opus Dei z. B., eine offizielle Verbindung der Kirche, macht ihren Einfluß deutlich. Sie verändert vielleicht nur ihr Erscheinungsbild. In diesem Zusammenhang ist die technologische Entwicklung von Bedeutung. Das Internet funktioniert heute schon als virtuelle Kirche. Die Hollywood-Industrie produziert verstärkt Filme mit starker moralischer Ethik. Vielleicht ist Hollywood die wichtigste Kirche überhaupt. Sie wirkt über das Unterbewußtsein und schlägt aus dem Bedürfnis nach Religion Profit.

?: Wie seid Ihr an das neue Album herangegangen? Ist es ein Konzeptalbum?

!: Ja, wie die meisten unserer Werke. Ein bestimmtes Thema wird immer aus verschiedenen Blickrichtungen betrachtet. Diesmal waren sehr viele Leute involviert. Oft kann man sich nicht vorstellen, wieviel Arbeit und Geld es kostet, so eine Platte zu produzieren, auch wenn das Resultat am Ende nicht so opulent wie ein Film ausfällt.

?: Das neue Album hat den Charakter eines Techno-Metal-Musicals.

!: Das kommt der Sache schon ziemlich nahe. Den Begriff Techno beziehe ich in diesem Zusammenhang aber eher auf den Einsatz technischen Equipments.

?: Interessierst Du Dich nicht für Dance-Music?

!: Nein, nicht so sehr. Eher für das gesellschaftliche Phänomen, das sie verursacht. Intelligent Techno mag ich aber schon.

?: Nach beinahe 16 Jahren voller Mißverständnisse in bezug auf Euer Image, Eure Live-Shows und Eure Musik allgemein; wie ist Euer Verhältnis zur Presse? Ich vermute mal, daß man irgendwann keine Lust mehr hat, sich als Künstler für seine Arbeit zu rechtfertigen.

!: Über die Jahre hat sich das verändert. Wir gehen grundsätzlich auf keine Anschuldigungen ein. Wir sind nicht angreifbar. Ein Problem mit der Presse haben wir dementsprechend niemals gehabt. Daß wir eine Zeitlang nur schriftliche Interviews gegeben haben, hatte andere Gründe. So hat man Zeit, sich entsprechend zu formulieren. Als intelligenter Journalist sollte man mit dem geschriebenen Wort etwas anfangen können. Also ist die persönliche Anwesenheit nicht zwingend notwendig. Letztendlich können wir über unser Werk auch nicht mehr sagen, als ein Journalist es vermag. Es gab Vorüberlegungen, Beratungen, und die Platte wurde eingespielt. Das ist alles. Der einzige Grund, warum ich jetzt hier sitze, ist der persönliche Kontakt zum Hörer.

?: Musikalisch gesehen seid Ihr immer Außenseiter gewesen und habt konsequent Euer Ding durchgezogen. Sicherlich hättet Ihr es Euch durch Zugeständnisse an den Geschmack der breiten Masse selbst leichter machen können. Welchen Stellenwert hat Musik für Euch?

!: Zu Beginn unserer Karriere haben wir uns mit allen Arten der Kunst beschäftigt: Graphik-Design, Film oder auch Theater. Mit zunehmender Zeit haben wir uns dann auf den rein musikalischen Aspekt konzentriert. Musik ist eine sehr abstrakte Ausdrucksform. Es ist faszinierend, wie sie auf den Hörer wirkt.

?: Eure Konzerte waren künstlerisch immer sehr anspruchsvoll und zugleich provokant. Was erwartet uns auf der bevorstehenden Tour?

!: Das hängt von der Größe der Konzerthallen ab. Leider füllen wir keine Stadien. Wir können einfach nicht das Equipment mitnehmen, das uns vorschwebt. Meistens müssen wir dann improvisieren.

?: Ist es Euch wichtig, live zu spielen?

!: Manchmal, nicht immer. Eine Tour ist vom ökonomischen Standpunkt aus gesehen eine schwierige Sache. Es ist anstrengend, jeden Abend live zu spielen. Es ist unerträglich, jeden Abend zu funktionieren.

?: Die Idee des "NSK-Staates" ist höchst interessant. Ein virtueller Staat, ohne Grenzen. Wieviel Einwohner hat der "Staat der Neuen Slowenischen Kunst" inzwischen?

!: Das weiß ich nicht genau, aber auf jeden Fall mehr als der Vatikanstaat! (Zeigt stolz seinen NSK-Pass).

?: Zeigst Du diesen Pass an der Grenze vor?!

!: Ja, und manchmal funktioniert das sogar! Zur Zeit ist er sogar wertvoller als ein ex-jugoslawischer oder bosnischer Pass. Die Leute benutzen ihn, um die Stadt zu betreten oder zu verlassen.

?: Danke für das Interview.